Freiheit hinter Gittern
Seit eineinhalb Jahren leben wir, mein Mann und ich, mit dem Hovawart Rüden Samu in einem Haushalt zusammen.
Samu ist nicht kastriert. Nach langen Recherchen zu diesem Thema haben wir uns dagegen entschieden. Als Samu mit elf Monaten zu uns kam, hatte er bereits eine Vorgeschichte, von der wir nur wussten, dass er sich in einer Ausbildung zum Schutzhund befand. Wir wussten aber nicht, dass er eine Ressourcenaggression entwickelte oder bereits hatte, was vermutlich jedoch nichts mit der Ausbildung zu tun hatte, sondern mit seiner bis dahin mangelnden Erziehung.
In alltäglichen Situationen entscheidet er, bestimmte Dinge als seine in Besitz zu nehmen und sie dann aggressiv nach vorne gehend – und zwar unter Einsatz seiner Zähne – zu verteidigen. Diese Dinge können sein ein Stück Brot, eine leere Brottüte, eine Decke etc..
Da wir also in keiner Situation sicher sein können, dass er mit seinem Verhalten keinen (Beiß-) Erfolg haben wird, beschlossen wir, dass er tagsüber einen Maulkorb trägt.
Mit unseren Hundetrainerinnen Aliki Busse und Gaby Busse-Kilger von CreaCanis und unserer Freundin Maggie Heinze lernte Samu den Maulkorb als normal und zu ihm gehörend zu akzeptieren.
In seiner Größe wirkt er zwar im ersten Moment etwas martialisch, aber er ermöglicht es dem Hund zu trinken, Leckerlies aufzunehmen zu hecheln und Kontakt aufzunehmen, ohne von uns gestoppt zu werden.
Natürlich haben wir mit Samu ein Abbruchsignal trainiert und das funktioniert sehr gut, dennoch gibt es noch immer Situationen, die wir ohne den Korb nicht souverän klären könnten.
Da Samu uns in die Stadt, in den Biergarten und auf Campingplätzen im Urlaub begleitet, gibt ihm der Maulkorb die Freiheit dabei zu sein, mit seinen Hundekumpels zu spielen und uns Sicherheit. Natürlich werden wir häufig darauf angesprochen. Meistens reagieren die Menschen auf unser Erscheinen erstaunt, auf unsere Erklärungen aber verständnisvoll und positiv. Kinder kommen nicht auf die Idee, ihn einfach streicheln zu wollen und Erwachsene wechseln schon auch manchmal die Straßenseite. Aber wir vermitteln den Menschen, dass wir verantwortungsvoll mit ihrer und des Hundes Sicherheit umgehen.
Der Hund selbst hat kein Problem mit dem Maulkorb, im Gegenteil freut er sich, wenn wir ihn ihm morgens anlegen, bedeutet doch dies, dass der Tag nun beginnt und er unterwegs sein darf.
Mit unserer Maßnahme schützen wir uns auch selbst und vermitteln dem Hund, dass er uns in jeder Situation akzeptieren muss und wir auch vor seinen Drohgebärden nicht zurückschrecken. Da Samu ein Vierbeiner ist, der Dinge die ihm wichtig sind auch bestrebt ist durchzusetzen, ist es für uns unumgänglich, ihm jederzeit signalisieren zu können, dass unerwünschtes Verhalten Folgen hat, wodurch wir ruhig und souverän mit ihm umgehen können. Die Konsequenz in der Einhaltung von klaren Regeln ermöglichen uns ein friedliches Zusammenleben.
Was ich immer wieder vergesse: Nachtragend zu sein und seine Reaktion persönlich zu nehmen schädigt unserer Beziehung und löst keine Probleme. Wir haben lange gehadert und gehofft, eines Tages unseren Samu wieder ohne Maulkorb entspannt führen zu können.
Seit wir aber seinen Maulkorb als etwas zu ihm gehörend akzeptieren– wie bei anderen Hunden nur 3 Beine, Taubheit oder Blindheit – haben wir ein völlig entspanntes und tolles Verhältnis und unsere Bindung wird immer stärker; denn es ist auch unsere Einstellung zu ihm und zur Akzeptanz dessen wie er eben ist.
Eure Lissy, Rainer und Samu